21. März 2019

Vom Ehrenamt zu bezahlten Kräften

Ehrenamt, fehlende Zeit und Ressourcen hindern Energiegenossenschaften daran, sich weiter zu professionalisieren. Dabei sind bezahlte Strukturen ein wichtiger Weg, um künftig aktiv die Energiewende in Bürgerhand mitzugestalten. Einige Energiegenossenschaften haben gute Lösungsansätze gefunden.

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Wie geht es weiter? Vor dieser Frage stehen zahlreiche Bürgerenergiegenossenschaften (BEGen). Wachsen wir oder verwalten wir? Und wenn wir wachsen, woher bekommen wir die nötigen Kompetenzen? Ehrenamtlich geführten BEGen fehlt es meist an Zeit und Ressourcen. Außerdem haben zahlreiche Genossenschaften ein Generationenthema. Vorstände und Aufsichtsräte von BEGen sind überdurchschnittlich alt, hat die Hochschule für Wirtschaft Umwelt Nürtingen-Geislingen in einer Studie herausgefunden. Die Vorstände arbeiten zu 60 Prozent ehrenamtlich ohne Vergütung. Manche, die lange im Amt sind, fragen sich: Mache ich weiter oder höre ich auf? Und wie finde ich Nachfolger?

Das Ehrenamtsdilemma

Mit engagierten Ehrenamtlichen haben sich Energiegenossenschaften viel Know-how und Professionalität erarbeitet. Doch mit dieser Struktur stehen sie vor einem Dilemma, wenn sie sich erfolgreich weiterentwi-ckeln wollen. Auf der einen Seite haben sie begrenzte Ressourcen und Kapazitäten. Auf der anderen Seite erfordern neue, komplexere Projekte mehr Arbeitsaufwand und neue fachliche Qualifikationen. Sie bergen zudem größere Risiken. Gleichzeitig erwarten die Mitglieder, dass die Genossenschaft neue, weitere Projekte realisiert. Energiegenossenschaften stehen zudem im Wettbewerb mit Unternehmen, die über eine gut entwickelte Struktur und Hauptamtliche verfügen. „Die Energie der Verantwortlichen hat nachgelassen in den Jahren“, sagt Felix Denzinger, Vorstand der Teckwerke Bürgerenergie eG in Kirchheim unter Teck. „Vor drei Jahren haben wir uns dann gefragt: Wie machen wir weiter? Professionalisieren wir uns mit deutlich mehr Volumen in den Projekten und Umsätzen? Oder frieren wir die Genossenschaft ein, leben vom Bestand und machen nach zwanzig Jahren dicht.“ Wie die Teckwerke eG suchen andere BEGen Wege aus dem Dilemma. 

Was macht Energiegenossenschaften erfolgreich?

Es gibt Gemeinsamkeiten zwischen Energiegenossenschaften, die erfolgreich wachsen und sich professionalisieren. Torsten Schwarz von den Bürgerwerken hat einige Erfolgsfaktoren identifiziert. Erfolgreiche Genossenschaften haben eine klare Ausrichtung und eine Wachstumsstrategie erarbeitet. Sie haben einen Geschäftsplan, planen für mehrere Jahre und setzen sich messbare Ziele. Sie investieren in Personal und erbringen möglichst viele der wertschöpfenden Tätigkeiten mit eigenen Kräften. Sie setzen  auf lukrative Geschäftsfelder, entwickeln bestehende weiter oder erschließen sich neue. Sie erwirtschaften kontinuierlich zusätzliche Erlöse über neue Projekte, Einnahmen aus Dienstleistungsverträgen, dem Stromverkauf usw.

Klare Ziele für die kommenden Jahre zu definieren ist keine Selbstverständlichkeit bei BEGen. Teilweise sind die Ziele vage, kaum messbar („drei neue Projekte im Jahr“). Oder die Verantwortlichen scheuen sich, sich festzulegen. Doch realistische Ziele geben eine Ausrichtung, verpflichten die Beteiligten und geben die Möglichkeit am Ende jeden Jahres zu analysieren, was funktioniert und was nicht, wo gegenzusteuern ist usw.

In der Heidelberger Energiegenossenschaft haben sich Vorstände und Aufsichtsräte Anfang 2018 in einer gemeinsamen Klausur auf eine Strategie für die nächsten Jahre geeinigt und messbare Ziele bis zum Jahreswechsel 2019/ 2020 festgelegt.

  • Eine Vollzeitstelle ist finanziert
  • Mindestens 1 Million Euro Investment pro Jahr
  • Ein Teil der  Investition geht in die Projektentwicklung  und damit die Finanzierung dieser Stelle
  • Stromvertrieb: 125-150 Neukunden pro Jahr
  • 50 neue Mitglieder

Der Weg zu bezahlten Kräften

Natürlich gibt es beim Ziel „bezahlte Kräfte“ Hindernisse zu überwinden. Es erfordert die Bereitschaft der Verantwortlichen, Risiken einzugehen. Wie finanzieren wir die Kräfte vor? Über Risikokapital interessierter Mitglieder oder Kredite bei der Bank? Wann rechnet sich die Investition in Personal? Sind Vorstand und Aufsichtsrat dazu bereit und sich einig? Wer kann Treiber der Entwicklung sein? Sind die Mitglieder damit einverstanden, dass die Genossenschaft in fachliche qualifizierte Kräfte investiert und das Wachstum vielleicht die Dividende schmälert?  

In der Praxis gibt es eine ganze Reihe von Lösungsansätzen. Ein erster Schritt ist, den Vorstand zu entlasten, damit er mehr Zeit in die Entwicklung investieren kann. So werden beispielsweise Verwaltung, Mitgliederkommunikation, Marketing u.a. von Minijobberinnen übernommen. Andere Genossenschaften beschäftigen Freiberufler nach Stundensatz oder auf Erfolgsbasis. Vergütet wird z. B. die Projektentwicklung (mit einem bestimmten Prozentsatz am Gesamtvolumen), die Werbung von Stromkunden usw. Das Provisionsmodell lässt sich auch für externe Dienstleister anwenden. Das Risiko ist, dass es bei gleichzeitigem Haupt- und Ehrenamt in der Genossenschaft zu Spannungen kommt. Eine weitere Möglichkeit ist die Zusammenarbeit mit externen Partnern, die Vorlaufkosten übernehmen, wie z.B. in der Windprojektierung. Manche Genossenschaften erschließen sich auch zusätzliche Mittel, etwa aus Leader-Programmen oder Förderprogrammen. Schließlich gibt es auch das Modell „Personal teilen“, etwa in einer Dachgenossenschaft  oder mit einer Vereinbarung zwischen Genossenschaften.

Beispiel Teckwerke  Bürgerenergie eG

Die Teckwerke haben ein Modell gewählt, in dem die bezahlten Kräfte bei der Genossenschaft angestellt sind. Der Vorstand wird entlastet durch einen Minijob für Verwaltung und Mitgliederkommunikation. Eine weitere Mitarbeiterin auf Minijobbasis ist für Marketing zuständig. Sie soll das Profil der Teckwerke schär-fen, Mitglieder binden und Kontakte zu Multiplikatoren knüpfen, etwa in Stadt und Gewerbeverein. Bei der Projektentwicklung (PV und Wind) arbeitet die BEG mit externen Partnern auf Erfolgsbasis. Schließlich werden die Vorstände auf Minijob-Basis vergütet.

Über die Einstellung eines Mitarbeiters für den Strom- und Gasvertrieb mit niedrigem Grundgehalt sowie einer Provision gab es einen langen Entscheidungsprozess im Aufsichtsrat. Lohnt es sich, in den Stromver-trieb zu investieren? Was bringt ein Stromkunde? Wie lange bleibt er? Wie entwickelt sich die Marge? Der erste Vertriebsmitarbeiter hat in Kirchheim nicht die erwartete Zahl der Strom- und Gaskunden eingeworben. Deshalb haben die Teckwerke die Stelle neu ausgeschrieben und suchen einen Mitarbeiter, der sowohl Vertrieb als auch die technischer Projektbetreuung übernimmt. Mit der Beschäftigung innerhalb der Energiegenossenschaft gehen die Teckwerke das Risiko von Verlusten ein, weiß Felix Denzinger. Das wirft die Frage auf: Wie gehen wir damit um, wenn wir ein Geschäftsjahr mit Verlusten abschließen? Trägt der Aufsichtsrat weiterhin den Wachstumspfad, sind die Mitglieder bereit, auf eine Dividende zu verzichten? „Etwas Verlust können wir gut über aktivierte Eigenleistungen wieder aus der GuV eliminieren. Solange unsere Projekte weiterhin wirtschaftlich sind, halten wir das sogar für notwendig, um Generationengerechtigkeit herzustellen“, sagt Vorstand Felix Denzinger.

Gründung von Servicetöchtern als GmbH

Ein Modell, das einige BEGen beschritten haben, ist die Gründung von Servicetöchtern. Diese entwickeln mit festangestellten Kräften neue Projekte oder übernehmen Dienstleistungen für die Genossenschaft. So wird das Risiko aus der Genossenschaft ausgelagert und sie muss keinen Anlaufverlust durch die Vorfinanzierung tragen. Die Bilanz wird nicht belastet und die Dividende ist nicht gefährdet. Im Worst-Case geht allerdings das Stammkapital verloren. 

Die Heidelberger Energiegenossenschaft (HEG) hat die Tochtergesellschaft „Energie vor Ort“ (EvO) gegründet und sie mit verschiedenen Aufgaben betraut. Die EvO übernimmt etwa gegen Rechnung die Büroorgani-sation, unterstützt bei Mitgliederverwaltung und Buchführung. Sie überwacht auch die PV-Anlagen. Besonders wichtig sind die wertschöpfenden Tätigkeiten: Die Akquise und -entwicklung von Projekten, derzeit vor allem Solarprojekte und Wind sowie die Werbung von Stromkunden. Die HEG beschäftigt eine Halbtagskraft, einen Werkstudenten und freie Mitarbeiter für die Solarberatung und PV-Projektentwicklung.

Für die Projektakquise und -entwicklung stellt die EvO der HEG die Leistungen in Rechnung. Die Projektierungskosten werden in die Gesamtkalkulation der einzelnen Projekte eingerechnet. Bei der Stromkundenwerbung  teilen sich HEG und EVO die zusätzlichen Einnahmen. Fallen Gewinne an, werden sie großenteils in das Wachstum investiert. Die realisierten Anlagen sind im Besitz der Energiegenossenschaft, sie erzielt höhere Erträge. In Heidelberg entscheiden weiterhin Vorstand und Aufsichtsrat über die einzelnen Projekte und entscheiden, was realisiert wird. 

Je größer die Projekte sind, umso mehr Einnahmen kann die GmbH erwirtschaften. Bei einer PV-Freiflächen-anlage mit einer Leistung von 750kWp lassen sich  - je nach Eigenleistungen (z.B. Flächensicherung, Netzverträglichkeitsprüfung, Bauleitplanung, technische Planung) zwischen zwei und sechs Prozent der Investitionssumme erwirtschaften. In Zahlen sind das zwischen 10.000 und 40.000 Euro je Projekt.

Die Heidelberger Energiegenossenschaft geht ihren Weg weiter. Auch dank der „Sonnenstadt-Kampagne“ im Herbst 2018 hat die HEG 120 neue Mitglieder gewonnen und 186 neue Stromkunden. Die Investitionssumme blieb noch unter einer Million Euro, doch 2019 beteiligt sich die Genossenschaft an einem Windpark und hat weitere PV-Projekte in der Pipeline. Außerdem hat die HEG einen Kreis von etwa 20 „Botschaftern“ gewonnen, die sich für das Gewinnen von Stromkunden und Mitgliedern engagieren. „Das Wachstumsziel der HEG bis Ende des Jahres ist ehrgeizig – und erzeugt auch Druck“, sagt Vorstand Andreas Gissler. „Doch es motiviert. Wir wissen, wo wir hinwollen und sind aktiv.“

Text: Rainer Lange, Netzwerk Energiewende Jetzt e.V

Fotos: Photocase 

 

 

 

 

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