10. Juli 2019

„Wir brauchen eine sozialverträgliche, geschlechtergerechte Energiewende“

Krisztina André und Katharina Habersbrunner sind im Mai neu in den Vorstand des Bündnis Bürgerenergie gewählt worden. Ein Gespräch über Ihre Ideen, ihre Motivation und eine geschlechtergerechte Energiewende.

 

Krisztina André und Katharina Habersbrunner, neue Vorständinnen des Bündnis Bürgerenergie. Foto: Rainer Lange /BBEn

Krisztina, Du bezeichnest Dich als Öko-Feministin. Was heißt das für Dich?

Krisztina André: Es sind hauptsächlich männliche Akteure in der Bürger-Energiewende aktiv. Meine Vision ist, dass sich die Zahl an Menschen verdoppelt und zukünftig am Konvent und in der Bürgerenergie genauso so viele Frauen beteiligt sind. 

Katharina Habersbrunner: Unser Anliegen ist, dass wir den Pool an Ideen und Engagement der aktuellen Bürgerenergie-Akteure bündeln und zu hundert Prozent nutzen. Zurzeit haben wir Rückenwind von der EU mit der Richtlinie für erneuerbare Energien. Diese Richtlinie ist nun in verbindlich geltendes nationales Recht umzusetzen. Das ist ein großer, wirksamer Hebel für die Energiewende. Ich glaube, es ist ein wichtiger Zeitpunkt, um mitzugestalten. Dafür brauchen wir Männer wie Frauen.

Katharina, du hast gesagt, Du willst das Bündnis gendergerechter machen. Was heißt das konkret?

Habersbrunner: Ich will eine geschlechtergerechte Energiepolitik, oder besser: eine sozialverträgliche Energiepolitik. Geschlechtergerechtigkeit ist ein Teil davon. Wir müssen aufzeigen, was wir gewinnen, wenn wir gendergerecht handeln und die ganze Bevölkerung beteiligen. Wir messen mit unterschiedlichen Maßstäben. Beispiel Braunkohleabbau: Da ist es ein großes Thema, wenn Arbeitsplätze von Tagebauarbeitern verloren gehen, hauptsächlich Männer. Aber die Politik sieht nicht, was Frauen leisten an unbezahlter Arbeit, etwa in der Pflege. 

Woran liegt das, dass Bürgerenergie überwiegend männlich ist? Bei Themen wie Ernährung oder Gesundheit achten Frauen viel stärker auf Nachhaltigkeit als Männer.

André: Meine Erfahrung ist, dass in Deutschland Karrieren von Frauen immer noch nicht die Normalität sind. Arbeitende Mütter müssen viel selbst stemmen, ihre professionelle Entwicklung ist beschränkt, sie sind stark eingespannt und im Steuersystem weniger als Männer berücksichtigt.

Habersbrunner: Energiewende wird stark technisch betrachtet, das sehen wir bei vielen Diskussionen – auch hier beim Konvent. Doch es geht nicht nur um Technologien. Eine erfolgreiche Energiewende bedarf mehr als technologische Problemlösungen, es braucht eine sozial-ökologische Transformation, einen Partizipationsprozess und eine entsprechende Kommunikation, die alle Bürger*innen erreicht: Frauen wie Männer unterschiedlichen Alters und verschiedener Herkunftsländer.  Es sind vielleicht auch fehlende Rollenvorbilder – und natürlich gibt es Konkurrenz. 

Was ist die Konsequenz?

Habersbrunner:Der Fokus auf die Technik ist vielleicht nicht attraktiv für Frauen. Wir müssen uns überlegen, wie wir die Bürgerenergie attraktiv für Frauen machen. Etwa mit einer Kampagne  „Strom wechseln für Frauen“. Herausfinden, was Frauen motiviert, den Stromanbieter zu wechseln: Insgesamt geht es darum, Energiewirtschaft und Politik für Frauen interessanter zu gestalten.

Habersbrunner: Der Fokus auf die Technik ist vielleicht nicht attraktiv für Frauen. Wir müssen uns überlegen, wie wir die Bürgerenergie attraktiv für Frauen machen. Etwa mit einer Kampagne  „Strom wechseln für Frauen“. Herausfinden, was Frauen motiviert, den Stromanbieter zu wechseln: Insgesamt geht es darum, Energiewirtschaft und Politik für Frauen interessanter zu gestalten.

Und wieso sind junge Menschen eher eine Minderheit in der Bürgerenergie?

Habersbrunner: Die jetzigen Aktiven in der Bürgerenergie sind durch den Kampf gegen die Atomenergie geprägt. Junge Menschen haben andere Formen sich zu engagieren, das sieht man bei Fridays for Future. Das ist stark von Frauen und von Mädchen organisiert. Weltweit sehen wir das in den lokalen Gruppen. Mädchen und Frauen sind da vorne dabei. Das ist fantastisch. Unsere Aufgabe ist, besser zu verstehen, was junge Menschen wollen und dies in unserer Arbeit zu berücksichtigen. 

Was heißt das für das Bündnis Bürgerenergie?

Habersbrunner: Das eine ist zu analysieren, wen wir bisher mit unseren Ideen und Kampagnen erreicht haben. Wenn es Ungleichgewichte gibt zu überlegen, wie können wir mehr Frauen erreichen? Das andere sind Gendertrainings, auch der Aktiven: Welche tradierten Rollen haben wir im Kopf? Wir wissen, dass Frauen im Haushalt Strom sparen und eher bereit sind, ihr Verhalten zu ändern. Letztendlich werden die meisten energieeffizienten Maßnahmen, etwa neue Fenster, mehr von Männern getroffen werden. Die sind immer noch häufiger für das Budget verantwortlich. Wie können wir die größere Bereitschaft von Frauen für Verhaltensänderungen für die Energiewende nutzen?

André: Viele Entscheidungen werden außerhalb der Lebensbereiche von Frauen getroffen, sie haben weniger Möglichkeiten des Austauschs. Deswegen birgt es ein großes Potenzial, Frauen in ihrem eigenen Umfeld zu begegnen. Wir müssen dafür sorgen, dass Informationen über einen effektiven Klima- und Umweltschutz mit Bürger*innenbeteiligung bis zu Kinderspielplätzen durchdringen. Auch Migrant*innen sind marginalisiert. Ich gehöre zu einer ungarischen Minderheit aus Jugoslawien. Ich habe viel Kontakt mit Menschen mit Migrationshintergrund, die in Deutschland leben. Sie sind nicht eingebunden in den Transformationsprozess der Energiewende. Wir könnten viele Leute zusätzlich erreichen, wenn wir unsere Informationen zum Beispiel ins Türkische übersetzen. Auch Flüchtlinge können viel von den Technologien und Organisationsformen der Energiewende lernen. Viele von ihnen sind durch Ressourcenkriege vertrieben worden.

Welche Impulse wollt Ihr im Bündnis Bürgerenergie setzen?

André:Ich bin sehr europäisch gestrickt. Ich möchte Bürgerenergie außerhalb von Deutschland bekannter machen, direkte Verbindungen mit anderen Genossenschaften in anderen Ländern knüpfen und neue Konzepte für Sektorenkopplung in der Bürgerenergielandschaft anstoßen.

Welche Länder hast Du dabei im Blick?

André: Ich komme aus Südosteuropa und bin in den Niederlanden durch meine Familie heimisch. In den Balkanstaaten geht die Entwicklung der Energiewende sehr zäh voran. Ungarn sollte zum Beispiel stärker miteinbezogen werden. In Ungarn wird die Hälfte des Stroms in Atomkraftwerken produziert, obwohl das Land wahnsinnig viel Sonnenpotenziale hat. Spannend wird es, wenn Elektromobilität als Teil der Erneuerbaren-Energien-Speicherung, bidirektional ans Netz angekoppelt wird. Das wäre in Ungarn gut möglich, denn in Budapest gehören Elektroautos und Elektrobusse zum Alltag. Solche Pionier-Projekte existieren schon in den Niederlanden, eines davon als Genossenschaft „We Drive Solar“. Solchen Wissenstransfer finde ich essenziell.

In der Politik und in Medien wird zurzeit oft gesagt und geschrieben: Die Energiewende sei schwierig und teuer. Was haltet Ihr dagegen?

Habersbrunner: Wenn die Regierung auf die Lobbyisten der Vergangenheit hört, dann wird sie natürlich so etwas kommunizieren. Unsere Empfehlung ist, vorwärts gewandt zu agieren und auf die Lobbyisten der Zukunft zu hören. Auf Friday for Future zum Beispiel oder andere Aktive.

Die finnische Universität LUT in Lappeenranta und EnergyWatchGroup  haben in einer aktuellen Studie (Energy Transition in Europe. Across Power, Heat, Transport and Desalination Sectors) die wirtschaftlichen Vorteile von Erneuerbaren berechnet. Das Ergebnis; 100 Prozent erneuerbar sind möglich und sie sind günstiger als der fossile Weg. Dabei haben die Wissenschaftler noch keine zusätzlichen Effekte eingerechnet wie mehr Gesundheit oder Resilienz. Denn ein dezentrales Energiesystem ist resilienter als ein zentrales, ein Blackout unwahrscheinlicher. Diese Ergebnisse gut zu verbreiten und gleichzeitig Lösungen und Konzepte aufzuzeigen, das ist unsere Aufgabe. 

André:Trotz großangelegter Kampagnen gegen die dezentrale Energiewende setzen sich Photovoltaik und Windkraft durch. Sie sind sicher, leicht zugänglich und sehr kostengünstig. Auch die Elektromobilität wird schlechtgeredet, um für die Automobilindustrie weiterhin Profite mit alten, klimaschädlichen Verbrenner-Technologien zu ermöglichen. Deswegen ist Aufklärungsarbeit in der Bevölkerung mit einfachen Bildern, Fakten und Tatsachen am wichtigsten. Ich habe in München sogar Umweltschutzaktivisten erlebt, die nicht wussten, dass wir ein Steinkohlekraftwerk in der Nähe haben. Sie wussten auch nicht, dass wir diese Steinkohle zur Teil aus Mosambik einkaufen. Wir verbrennen Steinkohle aus Mosambik in München, um Strom zu haben. Während das ostafrikanische Land von zwei durch den Klimawandel bedingte Zyklonen verwüstet wird. Ich finde, das ist ein Verbrechen und ein Ergebnis fehlender Information.

Was motiviert euch bei Eurem Engagement für die Energiewende? 

André: Ich komme aus einem Kriegsland, was in meinem Leben starke Spuren hinterlassen hat. Deswegen habe ich eine starke Motivation, mich für Frieden einzusetzen und gegen Kriege, die um Ressourcen wie Öl geführt werden. In der Zukunft wird es durch den Klimawandel eher verstärkt solche bewaffneten Krisen geben. In solchen Unruhezeiten sind immer Frauen und Mädchen am meisten gefährdet, sie sind die schwächsten in der Gesellschaft. Die Mehrheit der Flüchtlinge war immer weiblich.

Außerdem habe ich eine weitere Motivation: Die Hälfte meiner Familie lebt in den Niederlanden. Meine Cousine, die gerade Mama geworden ist, lebt in Amsterdam, zwei Meter unter dem Meeresspiegel. Ich weiß, was auf sie und ihre Kinder mit dem Klimawandel zukommen wird.

Habersbrunner: Eine Motivation bei mir sind auch die nächsten Generationen, angefangen bei meinen Kindern. Ich möchte ihnen etwas vorleben, versuche klimaverträglich zu leben. Ich engagiere mich auch, um zu zeigen, welche Handlungsmöglichkeiten wir haben. Der zweite Punkt ist: Wenn wir das als Industrieland schaffen, das Energiesystem sozialverträglich und geschlechtergerecht umzustellen auf hundert Prozent erneuerbare Energien, dann hat das eine Strahlkraft auf die ganze Welt. Das könnte heißen: weniger Kriege, weniger Ungerechtigkeit, bessere Lebensbedingungen für alle und weniger Flüchtlingsbewegungen. Das treibt mich an.

Vielen Dank für das Gespräch

Das Gespräch führte Rainer Lange für das Bündnis Bürgerenergie e.V.

Zu den Personen

 

Katharina Habersbrunner

Katharina Habersbrunner arbeitet als Bereichsleiterin für Klima und Energie bei Women Engage for a Common Future (WECF) Die internationale Umweltorganisation setzt nachhaltige Entwicklungsprojekte um und engagiert sich auf nationaler, EU- und supranationaler Ebene für eine nachhaltige und sozial gerechte Entwicklung.  Katharina Habersbrunner lebt in München und ist dort im Vorstand der Energiegenossenschaft BENG eG. Sie ist zudem im Vorstand des Vereins Bürgerenergie Bayern sowie Präsidentin der europäischen Genossenschaft Clean Power Europe SCE aus Brüssel

Krisztina André

Krisztina André arbeitet als internationale Kommunikationsexpertin. Sie fokussiert sich auf Elektromobilität, Sektorenkopplung, dezentrale Energielösungen, Umweltschutz und Geschlechtergerechtigkeit. Sie ist Mitgründerin der Nachhaltige Entwicklung SDGs e.V. und des German Alliance for Civilian Assistance e.V.

Sie engagiert sich in der Pan-Europäischen Bewegung DiEM25, fokussiert auf das gesamteuropäische ökologische und energiepolitische Programm. Der  "European Green New Deal", beinhaltet den Ausbau dezentraler erneuerbaren Energien, Vorfahrt für Bürgergenossenschaften, Elektrifizierung des Verkehrs und grüne Landwirtschaft. Krisztina André hat für das Europäische Parlament kandidiert. Sie lebt in München

 

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